Musikalische Gipfelstürmer: Triumph mit Requiem
von Peter Fischer
Da hat sich Christa Strambach, die Chorleiterin des Jugendchors St. Kolumban, zu ihrem 25-jährigen Dienstjubiläum in höchste Höhen gewagt. Mit dem „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms hat sie eines der gewaltigsten Werke der Chorliteratur mit der erweiterten Quintessenz des Jugendchors und mit der Camerata Grinio aufgeführt. In der voll besetzten St.–Kolumban-Kirche erlebten die Besucher ein außergewöhnliches Konzert, das Chor, Orchester und Solisten höchste Ansprüche abverlangte.
„Ein deutsches Requiem Opus 45“ ist ein einmaliges Meisterwerk von 75 Minuten Dauer, uraufgeführt vor genau 150 Jahren. Es verdankt seine herausragende Sonderstellung Brahms’ Konzeption eines mit deutschen Texten aus dem Alten und Neuen Testament ausgestatteten Requiems, das nicht der Tradition der klassischen lateinischen Liturgie folgt und auch nicht das Jüngste Gericht und die Erlösung, also das Seelenheil des Verstorbenen in den Mittelpunkt stellt, sondern die Lebenden, die trauern und Trost und Hoffnung erfahren. So zieht sich der Text aus der Bergpredigt, mit dem der erste Satz beginnt, als Grundgedanke durch das ganze Werk: „Selig, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“
Die Themen in den sieben Sätzen sind die Zeitlosigkeit von Trauer und Trost, die Bedrohung durch die Vergänglichkeit und die Zuversicht durch die Vision der Ewigkeit, die schmerzliche Frage nach Trost und die Hoffnung auf den Herrn, ein Blick auf die lieblichen Wohnungen des Himmels, himmlische Tröstung, die Frage nach dem „Stachel der Hölle“ und die Antwort mit dem Triumph der Auferstehung und das feierliche Vermächtnis des Seligseins.
Brahms’ Werk verlangt von Chor und Orchester gleichermaßen eine Fülle von musikalischen Formen, Stimmungen und Klangfarben. Die Quintessenz hat sich für dieses Projekt mit jungen Mitgliedern der Quart und mit Gast- und ehemaligen Sängerinnen und Sängern auf die Zahl 60 verdoppelt. In dreimonatiger Probezeit hat Christa Strambach einen Chor geformt, der mit unglaublicher Konzentration und Leidenschaft alle Anforderungen erfüllte, technisch und musikalisch, mit homogenen Stimmen, dynamisch und metrisch beweglich, mit herausragender Artikulation, mit imponierenden Spitzentönen, mit Sinn für Gefühl und Gestaltung, mit beeindruckenden Steigerungen, mit gelungenen Tempowechseln, strömenden Gesangslinien und starken Forte-Effekten. Kontrapunktische Kunststücke wie die berühmt-berüchtigte Orgelpunkt-Fuge im dritten Satz oder die mächtige Schlussfuge im sechsten Satz wurden sicher und transparent durchgestaltet. In der Probenarbeit hatte sich Ulrike Beck als Korrepetitorin bewährt.
Brahms’ Requiem benötigt ein Orchester mit eigener Sprache. Jeder der sieben Sätze hat seine eigene Struktur und Gestalt. Mit der Camerata Grinio unter ihrem Konzertmeister Joachim Ulbrich stand ein hochkarätiges Orchester zur Verfügung. Unter dem Dirigat von Christa Strambach wurde die sinfonische Struktur und Durchdringung gut herausgearbeitet. Was sich dem Orchester als Füllhorn von Klangfarben anbot, wurde herzhaft ausgekostet.
Der dritte Satz beginnt mit dem Baritonsolo „Herr, lehre doch mich“. Mit wunderbarer, beweglicher und markanter Stimme gestaltete Florian Schmitt-Bohn Fragen und Mahnen im Wechsel mit dem Chor. Mit prophetischem Impetus führte er im sechsten Satz zur Szene mit der „letzten Posaune“ und mit einem kraftvollen Ausbruch von Chor und Orchester.
Einem Sopransolo ist es vorbehalten, den einzigen ariosen Satz des Werkes „Ihr habt nun Traurigkeit“ zu formen. Constanze Seitz überzeugte mit strahlender Stimme, klar in den Spitzentönen, mit intensiver Stimmführung. Klänge wie aus einer jenseitigen Sphäre, eingebettet von Chor und Orchester in eine weiche Klanghülle. Ein wunderschöner Satz.
Im choralartigen feierlichen Schlussteil kehren Gedankenkreis und musikalische Atmosphäre des Eröffnungssatzes zurück. Das Seligsein erscheint in einer entrückten Klangwelt. Das Werk endet, wie es angefangen hat, in hauchzartem Piano und mit dem Wort „selig“.
Eine beseelte und ausdrucksvolle Aufführung, die bis ins Innerste berührte.
Konsequent hat die Dirigentin entschieden, nach dem Schlussakkord zur meditativen Stille einzuladen, die mit dem Geläut einer Glocke endete. Nun war das Publikum nicht mehr zu halten. Ein überaus kräftiger und lang anhaltender Beifall brach sich Bahn für die fantastische Leistung des Chores, für das vortreffliche Orchester und die hervorragenden Solisten.
Dekan Paul Magino, der schon die Einführung in das Werk gegeben hatte, ergriff noch einmal das Wort, um Christa Strambach zu ihrem 25-jährigen Dienstjubiläum zu gratulieren und für ihre eindrucksvolle Arbeit als Kirchenmusikerin der Gemeinde St. Kolumban und als großartige Leiterin des Jugendchors zu danken. Die Besucher schlossen sich mit stehenden Ovationen an.