Eine außergewöhnliche Markus-Passion
Der Jugendchor St. Kolumban glänzt in neuer Rolle als Sprechchor
Von Peter Fischer
Wendlingen. Ein beachtenswertes Passions-Konzert erlebten die Zuhörer am vergangenen vierten Fastensonntag in der gut besuchten St.–Kolumban-Kirche in Wendlingen. Unter der bewährten Leitung von Christa Strambach setzte sich diesmal der Jugendchor St. Kolumban mit einer ganz modernen, gegen alle musikalische Konventionen komponierte Markus-Passion von Peter Planyavsky auseinander.
Bewusst als Herausforderung, ja als Experiment hat Christ Strambach dieses Werk ausgesucht, das 1988 im Wiener Stephansdom seine Uraufführung erlebte. Der in Wien geborene Peter Planyavsky, der dieses Jahr seinen siebzigsten Geburtstag begeht, lange Jahre Organist und für das gesamte Musikprogramm der Domkirche St. Stephan verantwortlicher Leiter, Professor für Orgel und Improvisation an der Musikhochschule Wien, zählt heute zu den kreativsten zeitgenössischen Komponisten von Kirchenmusik. Er hat die Passion nach Markus für Sprechchor, gemischten Chor und Soli geschrieben. Das Ungewöhnliche an dieser Komposition ist, dass der Chor fast nur als Sprechchor fungiert.
Klugerweise hat Christa Strambach dem Hauptwerk des Abends sanfte Klänge vorangesetzt, um das Publikum für das dramatische Geschehen mit verinnerlichter Stimmung vorzubereiten. Sie intonierte feinfühlig das Choralvorspiel „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ von Johann Sebastian Bach. Nach dem Läuten der Heilig Kreuz – Glocke ertönte wie aus der Ferne, von einem Ensemble in der Seitenkapelle mit samtenem Ton gesungen, der Hymnus „O crux ave spes unica“ von Giovanni Pierluigi da Palestrina.
In einer Werkeinführung gab Dekan Paul Magino wertvolle Hinweise zur Biografie von Peter Planyavsky und zum Verständnis seiner Passionsvertonung. Sie wurde nun aufgeführt von der „Quintessenz“ und von den Chorgruppen „Quart“ und „Terz“ des Jugendchores St. Kolumban. Mit den Turba-Chören übernahm der Chor die Rolle verschiedener Personengruppen oder des Volkes. Diese gesprochenen Stellen wurden vom Chor in vorbildlicher Weise „mit allem Nach- und Ausdruck gesprochen“, wie es der Komponist in einer Anleitung fordert. Faszinierend, mit welcher Konzentration und Hingabe der Chor die dramatischen Einwürfe hellwach, akkurat, akzentuiert und differenziert wiedergegeben hat. Da wurde geflüstert, geschrien, zynisch oder indigniert rezitiert. Das kam einem bewegenden Schauspiel oder Passionsspiel nahe. Das wirkte packend, drohend, aufregend. Da ging das „Kreuzige ihn“ durch Mark und Bein. Beißender Spott bei „Heil dir, König der Juden“. Erschütternd „Sich selbst kann er nicht helfen“. Eindringlich, wenn die Wortfetzen durch die einzelnen Stimmen des Chores wanderten, sich in der Lautstärke aufbauten oder im Echo entschwanden.
Den musikalischen Hauptpart hatten die Solisten zu tragen, alle aus dem eigenen Chor. Alexander Jäger bewältigte in exzellenter Weise die gewaltige Tenorpartie des Evangelisten. Tonsicher, leicht fließend, textdeutlich und ausdrucksstark, wenn Gefühle gefordert waren, sang er den von unberechenbaren melodischen Wendungen durchsetzten Evangelistentext. Mit sonorem Basston verkörperte Jan Pfaff die Partie des Jesus. Er fand einfühlsam den emotionalen Tonfall der jeweiligen Situation. Mehrere kleine Solopassagen wurden gekonnt und trefflich aus den Reihen des Chores vorgetragen.
Zum Ende der Komposition durfte der Chor zeigen, was er gesanglich kann. Die Passion endet mit einem dreistimmigen Chor. Der meditative Text „Heiland, meine Missetaten haben dich verkauft“ stammt aus einem Passionslied des 18. Jahrhunderts. Da fädeln sich die Männer in den Ton des Solisten ein. Sopran, Alt und Männerstimmen singen gleichzeitig in verschiedenen Tonarten . Nach einer Steigerung zu einem wahren Ausbruch verebbt die Passion aus dem Fortissimo heraus in dissonanten Klängen. Eine Passion ohne wirkliches Ende. Zerreißend oder verheißungsvoll? Vielleicht beides.
Langes Stillehalten, noch einmal der Ton der Heilig Kreuz-Glocke. Dann aber der lang anhaltende, verdiente Applaus für die eindrucksvolle Präsentation eines außerordentlichen Passionskonzertes. Ein großes Kompliment an den jungen Chor, der diese Herausforderung angenommen und mit vollem Einsatz gemeistert hat. Dank galt auch der hervorragenden Arbeit der Stimmbildnerin Constanze Seitz.
Christa Strambachs Mut ist zu bewundern, ein solches modernes Werk mit ihrem Jugendchor erarbeitet zu haben. Mit selbstverständlicher Sicherheit und musikalischem Gespür führte sie ihren Chor durch die rhythmisch, dynamisch, sprechtechnisch vielfältigen Szenen. Eine vorbildliche Leistung.